
Bild viaSie wusste noch, wie sie sich zu einem Lächeln aufrappelte, als er in der Tür stand.
"Schatz, bist du dir sicher, dass ich gehen soll ? Ich kann den Flug auch absagen und wir verbringen gemeinsam den Abend. " Bei diesen Worten entfuhr ihr ein Seufzen.
Er sollte den Flug nicht absagen. Er freut sich schließlich bereits seit Wochen auf das Ski fahren und sie wollte ihm wirklich nicht zur Last fallen. Dieser reizende, junge Mann hatte ihr zwar angeboten mitzufahren, aber irgendetwas hielt sie bei ihrem Wohnort. Sie wusste selbst zwar nicht, um was es sich hierbei genau handeln würde, aber allein der Gedanke Heilig Abend nicht in ihrem vertrautem Heim zu verbringen, löste in ihr einen Schauer der Missgunst aus. ...mal ganz abgesehen davon, dass sie sich beim Ski fahren wahrscheinlich irgendetwas brechen würde ...
So drückte sie ihm nur noch rasch einen flüchtigen Kuss auf seine entgegenkommenden Lippen und schon war er weg.
Nun stand sie immernoch im Flur und wusste nicht wohin sie sollte. Das große Haus war leer, wie sonst auch. Die erschreckend bleichen Wände des Flures erinnerten viel mehr an Wände eines Krankenhauses, als an Wände eines bewohnten Haus. Alles wirkte so unpersönlich, so leer, so erdrückend, so unglaublich gleichgültig, wie es nur sein konnte.
Weder Bilder, noch gar irgendetwas Lebhaftes wollte den Gang ermuntern. Nur sie war da, welche zerrissen war.
Ihre blassen Hände begannen zu zittern. Sie musste die Feiertage alleine verbringen.
Wer würde sich auch um ein verlassenes, junges Ding an den heiligen Feiertagen scheren ?
Ihre Eltern ? Im Ausland, Geschäftsreise.
Ihre Freunde ? Weihnachtsferien in anderen Ländern.
Ihr Freund ? Ski fahren.
Wer würde auch nur einen Blick auf sie werfen, mit dem Gedanken "Vielleicht ist sie nicht so stark, wie sie scheint ?" ?
So wandelte ihre Gestalt durch den endlos lang wirkenden Flur, bis der Flur wie ein Fluss im Wohnzimmer mündete.
Kaum war sie im Wohnzimmer, hüllte sich ihr Geruchssinn in einen unverkennlichen Duft der Familie, des Beisammenseins und der Unbeschertheit. Es grenzte an Selbstironie. Rasch rüpfte sie ihre Stupsnase.
Das Wohnzimmer war in einem wärmeren Vanillieton gehalten, welcher sich von der Wand, bis hin zu den Rahmen der einsamen Bilder zog.
Das Sofa, auf welches sie sich erschöpft fallen lies, war aus robusten, braunem Leder.
Von diesem Platz aus, konnte sie gut den Spiegel, die liebliche Kommode, wie auch den hellerleuteten Tannenbaum mit den Millionen von Lichtern, als auch den Adventskranz, welcher auf einem modernem Glasstisch stand, sehen.
" Sie hassen mich. Alle miteinander. Aber ich bin auch so furchtbar dumm und mache Fehler. Ständig! Sie sagen, ich sollte mich beruhigen, da Fehler nicht schlimm wären, was im Prinziep auch stimmt, aber Fehler sind ein Zeichen von Schwäche, auch wenn sie uns menschlich machen. Warum lernen wir nicht aus Logik oder Vernunft, sondern aus Fehlern ?!?!"
" .. und dann noch Mom und Dad ... ", dieses Mal sprach sie die Worte aus, auch wenn sie es kurz dadrauf wieder bereute. Das Mädchen sah, als der Satz ihren rosigen Mund streifte, aus, wie eine Leiche auf Urlaub.
Vollkommen blass, ausgelaugt mit verwuscheltem Haar und starken Schatten unter den Augen, welche viel mehr wie Blutergüße, als Augenschatten aussahen.
Sie zog ihre Beine, welche mittlerweile zitterten, hastig zu sich heran. Im Hintergrund lief immer noch Last Christmas von Wham!
Ihr Freund, welcher noch vor wenigen Minuten im Wohnzimmer stand, hatte die CD eingelegt und dabei sein wundervolles Lächeln ihr geschenkt.
" Eltern. Für einige Geschenke Gottes, für andere Teufel ohne Hörner und Mistgabel. Aber was nützen einen Eltern, wenn sie sowieso nie da sind ? Wenn sie nichts anderes tun, außer zu verletzten ? Wenn sie zwar zusammen sind, aber es sich so an fühlt, als wären sie von dir geschieden ?"
Ihre gesamte Verbitterheit, ihre Einsamkeit, ihre Probleme, all ihre Gefühle, sammelten sich in ihren Augenwinkel, in welchen ein Meer aus Tränen sich gebildet hatte.
Das junge Ding fühlte sich, als wäre sie das einzigste Wesen auf der Welt. Sie wusste selbst, dass sie bereits seit einer langen, sehr langen Ewigkeit nur noch aus einem Gerüst bestand.
Einem Gerüst, welches nur noch da war, damit sie nicht zerfallen würde, denn in ihr war da nichts mehr. Rein gar nichts. Zuerst hatte sie sich eingeredet, dass sie sich irgendwann wieder fangen würde oder alles nur eine Illusion ihrer ausgeprägten Fantasie sei, aber irgendwann lässt sich etwas Offensichtliches, eine Tatsache, einfach nicht mehr verheimlichen.
Ihre blauen Augen waren starr geworden. Zu groß war die Anspannung und die Kraft, die Tränen zurückzuhalten.
Doch dann brach der Damm und mit dem Damm brach sie, mit ihrem Gerüst.
Voller Angst zog sie noch mehr ihre Beine zu sich und weinte bitterlich. Eine Träne nach der anderen rollte über ihr liebliches Gesicht.
Jede Träne eine Geschichte, eine Person oder ein Gefühl, bis sie vollkommen ausgelaugt war.
" I'm hiding from you and your soul of ice. My god I thought you were Someone to rely on Me? I guess I was a shoulder to cry on" Last Christmas lief immernoch im CDPlayer, während ihr ganzer Körper qualvoll zu zittern begann. Es schien, als würde etwas aus ihr ausbrechen wollen.
Plötzlich entkam ihr eine unerwartete Reaktion. Sie richtete sich auf, wischte einige Tränen weg und begab sich zum naheliegendem Tisch, auf welchen der liebevoll beschmückte Adventskranz stand.
Er war mit kleinen Nikoläusen, wie auch Strohsternen und Engelshaar beschmückt. In der Mitte des Kranzes lag eine Strichholzschachtel, welche sie nun mit ihren dürren Fingerchen aufnahm und das Hölzchen schnell zum Brennen brachte.
Eine rote Kerze, nach der anderen fingen langsam an zu brennen, als sie sich zu ihnen begab und das Hölzchen an den Docht der Kerze hielt.
Die Helligkeit der Flamme spiegelte sich in ihren Tränen wieder und obwohl sie unendlich zerdrückt aussah, war sie immernoch eine Schönheit.
" Fröhliche Weihnachten, einsames Mädchen .. ", sagte sie zu sich selbst, bis sie die Augen zuschlug und sich in die Traumwelt begab.
Da, wo sie sich jetzt befand, war nichts. Nur Leere und ein unendliches Schwarz. Sie hatte Angst und sogleich musste sie die Augen über sich selbst verdrehen - Wieso Angst haben, wenn man nicht in Gefahr ist ?!
Plötzlich wuchsen fix und flink Rosen aus dem Boden, welche sich zugleich an ihren Beinen hinaufangelten. Die Rosen verdohrten gleich darauf und es kamen Dornen zum Vorschein. Dornen, welche sie aufschneiden wollten, sodass sich ihr Blut über sie vergießen würde.
Sie war hilflos und schrie los, dass man sie doch retten würde, aber nichts geschah. Die Dornen wurden größer und hielten sie nach wie vor fest umschlungen.
Schlagartig wurde ihr komplett heiß. Es begann an den Füßen und ging über in den gesamten Körper. Es fühlte sich fast an wie Flammen, welche sie verbrannten. In ihrer Kehle war Rauch und sie konnte nun weder klar denken, noch atmen.
Die Dornen griffen ihren Körper wie auch ihre Seele an und zerfleischten sie. Das Mädchen wusste mittlerweile nicht mehr, was ihr mehr weh tat.
Als es fast nicht mehr auszuhalten war erhellte sich schlagartig alles und ihre gestrobene Grandma kam zum Vorschein. Inmitten saß die Dame in einem Meer aus Wolken und strahlendem Licht und reichte dem erschrockendem Ding eine Hand.
Die Dornen ließen das Mädchen langsam los und verschwanden wieder in der Erde, wie auch alle rästlichen Quälereien. Nochnichteinmal Narben hatte sie vorzuweisen!
Sie nahm die Hand ihrer Grandma entgegen. Die Dame lächelte sie gütig an und gemeinsam flogen sie in das Licht.
Der Himmeltrug ein graues Nachtgewand, sodass man fast davon ausgehen konnte, dass er sich auf eine Veranstaltung zeigen wollte. Die Sterne funkelten heller als jeder Diamant auf der Erde, während ein düsterer Nebenschleier die Großstadt in einen irreführenden Nebel tauchte.
An Bäumen, welche nur noch aus spitzen, dürren Ästen bestanden, vorbei sah man ein blaues Licht, welches unentwegt aufflackerte. Dazu traf noch ein ohrenbetäubendes Geräusch, welches, wie das Licht, von einem der riesigen, weißen Wagen mitroten Streifen aus kam.
Weißer Schaum, welcher wie eine Paarung aus eiskaltem Schnee und leckere Sprühsahne aussah, strömte aus einem der unzähligen Schläuchen, welche eine der stark gebauten Männer trug.
Die Luft trug quer durch die Stadt eine leicht süß bittere Wolke aus Rauch vor sich hin. Es roch nach Vollendigung. Und Tod.
Das Mädchen, welch immer das Glücklichste der Welt zu sein schien, starb am 24. Dezember.
Aber sie war nun an einem besseren Ort, welcher von der Wahrheit beherrscht wurde. Dort gab es keine Eltern, welche sich nur für Geld und keine Töchter interessierten mehr, dort gab es keine Lügen, keine falschen Freunde mehr.
Es gab nur noch Wahrheit und unendliches Licht.
Und so flog der Rauch über die gesamte Stadt, wenn nicht noch weiter und verteilte sich.
Er verteilete sich auf Spielplätzen, sodass die Zukunft besser gedeihen würde.
Er verteilet sich auf Krankenhäusern, um Kranken und ihren Angehörigen Trost zu spenden.
Er verteilete sich auf Parkplätzen, auf Shoppingmalls, wie auch auf Schulen und Friedhöfen.
Dieser Rauch hinterließ einen Zauber von Trost hinter sich und wenn ein Mensch, an einen Ort ging, an welchen dieser Rauch verstreut war, so fühlte er sich sogleich geborgen und beschützt. Als ob es keine Probleme gäbe.
Das Mädchen ließ nichts anderes zurück, als Rauch, einige Freunde, einen Geliebten, Eltern, welche sich nie für das Mädchen als Mensch interessiert haben und eine Moral.
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Ich kann euch nicht sagen, ob hiermit die Bloggerpause beendet ist. Ich weiß es selbst nicht, aber das Bloggen hat mir gefehlt und je länger ich nicht blogge, desto mehrere Ideen für Geschichten bekomme ich.